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Die überzeugende Idee, jugendliche Leichtigkeit & Selbstvertrauen fürs Leben

Eigentlich wollten wir in den Weihnachtsferien im 2004 in Freiburg shoppen gehen. Aber dafür fehlte uns das Geld. <<Wenn uns jede/r SchweizerIn einen Franken geben würde, dann wären wir Millionärinnen>>, sagte ich zu meiner Freundin. <<Das wäre genial und würde ja niemandem weh tun – einen Franken kann doch jede/r geben>>, meinte sie. Wir schwelgten ein bisschen in unserem Traum und sahen unsere grosse Shopping-Tour vor unserem geistigen Auge.  

Am gleichen Tag wurden wir dann mit den schlimmen Bildern vom Tsunami 2004 konfrontiert. Die Lust fürs Shoppen verging uns, aber die Idee mit dem Franken blieb. <<Was wäre wenn jede/r BaslerIn einen Franken für die Tsumami-Opfer spenden würde?>> Wir schauten uns an und waren von unserer Idee begeistert. Das könnte doch klappen, dachten wir und rannten ins Büro von meinem Papa. <<Wir haben eine Idee. Wir sammeln mit allen BaslerInnen für die Tusami-Opfer. Was meinst du? Geht das?>> Er antwortete kurz: <<Ja, macht das! Das wird funktionieren.>>

Umgib dich mit den richtigen Menschen und Kompetenzen

Ich erinnere mich, dass ich im ersten Moment erstaunt war, dass er uns so positiv zugesprochen hatte. Irgendwie hätte ich erwartet, dass er X Gründe nennen würde, warum es nicht klappen könnte, 175'000 Schweizer Franken ein viel zu hohes Ziel wäre, man uns nicht vertrauen würde etc. Aber nein, er war von Beginn weg begeistert und unterstützte uns. 

Als nächstes brauchten wir also einen Plan, wie wir das Ganze aufziehen würden. Schnell merkten wir, dass wir einen online Auftritt und die entsprechenden Kompetenzen dazu brauchten. Und so riefen wir unserem gemeinsamen Freund an, der fünf Minuten später bei mir zu Hause ankam. Wir waren nun zu dritt im Gründerteam. Wir waren mit Herz und Seele dabei und arbeiteten rund um die Uhr. 


Überzeuge Menschen von deiner Idee und nutze dein Netzwerk 

Das Team wuchs von Tag zu Tag. Wir setzten die Personen in unterschiedlichen Teams ein und managten alles von der zentrale bei uns im Esszimmer aus. Es gab BastlerInnen, SammlerInnen, GeldzählerInnen etc. Zudem organisierten wir ein Patronatskomitee. <<Für die Glaubwürdigkeit>>, meinte mein Papa. Schnell wurde mir bewusst, wie entscheidend es ist, ein grosses und gutes Netzwerk zu haben, um dieses in den richtigen Momenten aktivieren zu können. Er selber agierte als unser Coach im Hintergrund und bereitete uns so auf alles vor. Denn täglich nahm die Vielfalt der Aufgaben, die wir zu bewältigen hatten, zu. Natürlich auch die Aufmerksamkeit für unser Projekt und so wurden wir fast täglich von Radio, Fernsehen oder Zeitungen interviewt.


Übe deine Auftritte, sei authentisch und demütig 

Vor jedem Interview trafen wir uns in der Stube und spielten die Fragen durch. <<Ihr müsst die Geschichte immer so erzählen, als ob ihr sie zum ersten Mal erzählen würdet – auch wenn ihr sie schon 1'000 Mal erzählt habt>>, wiederholte Papa immer und immer wieder. <<Eure Emotionen müssen spürbar sein und eure Begeisterung fürs Projekt – das muss rüber kommen. Denn das wollen die Menschen sehen und lesen.>> Zudem kann ich mich gut erinnern, dass er uns immer wieder sagte, dass wir Demut zeigen und nie vergessen sollen, dass ein schlimmes Unglück passiert ist, viele Menschen ihr Leben verloren haben und unser 'Projekterfolg' nie das Schlimme in den Schatten stellen darf.

Im kalten Wasser lernst du schwimmen

Wir wurden in dieser kurzen Zeit so fest ins kalte Wasser geworfen, dass wir gar keine Zeit hatten, uns gross Gedanken über all die Dinge zu machen, die gerade so passierten. Wir standen auf einmal vor der Kamera, auf der Bühne mit mehreren hundert ZuschauerInnen oder am Mikrofon einer Live-Sendung. Wir waren innert kürzester Zeit extrem exponiert. 

Wie haben wir das alles geschafft? Warum haben wir uns das zugetraut? Wie sind wir mit dem Druck umgegangen? 

Ich glaube, dass unsere jugendliche Leichtigkeit ein Geschenk war. Wir haben uns nicht von den Ängsten treiben, sondern dem Flow von unserem Projekt treiben lassen – ohne alle Worst-Case-Szenarien durchzudenken. Schritt für Schritt sind wir an unserer Idee gewachsen und haben enorm viel dazu gelernt. Dinge, von denen wir kurz zuvor keine Ahnung hatten. 

Angst begleitet dich immer – gib ihr aber nicht zu viel Platz

Natürlich hatte ich am Abend im Bett manchmal Angst, dass wir die 175'000 Schweizer Franken nicht erreichen könnten, denn wir hatten uns von Beginn weg den zeitlichen Rahmen von drei Wochen gegeben und darum war der Druck ziemlich hoch. Ich stellte mir vor, wie ich dann mein Gesicht hinhalten müsste für Interviews und kritische Fragen zu meinem Scheitern kommen würden, wie peinlich es mir wäre, wenn ich nur ein paar Franken zusammen hätte. 

Wir waren aber schon viel zu weit fortgeschritten, um nicht mehr an unsere Idee zu glauben und abzubrechen. Darum machten wir weiter. Tag für Tag. Immer bis spät abends. Vom Schulunterricht wurde ich freigestellt. Mein Rektor meinte: <<Deine Aktion ist nun wichtiger. Da lernst du fürs Leben. Die drei Wochen Schulunterricht hast du im Nu wieder aufgeholt.>>

Feiere Zwischenerfolge und lade deine Batterien auf

Für unser Durchhaltevermögen war es wichtig, dass wir neben all den unterstützenden Personen unsere Zwischenerfolge gemeinsam feierten. CHF 10'000.-, 50'000.-, 100'000.- etc. Das Ziel erschien auf einmal machbar. Tag für Tag nahmen die Spenden zu und wir kamen unserem grossen Ziel immer ein bisschen näher. 


Nicht alle sind von deiner Idee überzeugt und gönnen dir den Erfolg

Natürlich gab es auch sehr kritische Stimmen und wir mussten schnell lernen, dass wir uns davon nicht runterziehen lassen dürfen. <<Warum rettest du nicht die ganze Welt? Kinder sterben in Afrika. Wir haben auch Hochwasser in der Schweiz. Was machst du dafür? Das Geld kommt doch sowieso nicht an.>> Solche Dinge wurden mir immer wieder an den Kopf geworfen. Noch Jahre nach der 1-Franken-Aktion. Zu Beginn machten mich solche Statements traurig, weil ich nicht verstehen konnte, wie man uns so kritisieren kann. Wir machten zumindest etwas. Das ist doch besser als nichts zu tun, dachte ich. Und die ganze Welt auf einmal zu retten, schien mir mit 15 – und übrigens auch heute noch – unmöglich. The upside: So habe ich schon früh gelernt, dass es immer und überall KritikerInnen und ZynikerInnen gibt und ich mir solche Kommentare nicht zu Herzen nehmen darf und meinem Weg und mir selber treu bleiben muss. 


Das langersehnte Ziel und die Bestätigung, dass wir was bewegen können

Wir haben es geschafft! Am letzten Tag unserer 3-wöchigen Aktion hatten wir die 175'000 Schweizer-Franken-Marke übertroffen. Ein unglaubliches Gefühl. Am Ende des Tages waren es über 200'000 Schweizer Franken. Und als wäre der Erfolg nicht schon gross genug, verzehnfachte die Glückskette den Betrag. Im Gesamten konnten also zwei Millionen Schweizer Franken – je eine Million für HEKS und Caritas – für die Wiederaufbauarbeiten, vor allem in Südindien, eingesetzt werden. Und das weil drei Jugendliche aus Basel einen Traum hatten und diesen bis ans Ende konsequent verfolgten. Ich hab noch heute Gänsehaut und bin stolz, auf das, was wir gemeinsam erreicht haben.


Unsere Reise ging bis nach Südindien und wird mich noch mein ganzes Leben lang begleiten

In den Monaten und Jahren nach der Aktion erhielten wir einige Auszeichnungen für das beste Jugendprojekt der Schweiz. So gewannen wir auch den Young-Caritas-Award und konnten im 2006 die Aufbauarbeiten von Caritas mit unseren eigenen Augen sehen. Zudem kam uns Lotti Latrous, Gründerin und Leiterin eines Sterbehospizes in der Elfenbeinküste und Schweizerin des Jahres 2004, besuchen – ein für mich unvergesslicher Moment. Ein Vorbild so hautnah vor sich zu haben und von ihr ermutigt zu werden. 

Zusammenfassend habe ich dank der 1-Franken-Aktion enorm viel gelernt, denke in herausfordernden Situationen immer wieder mal an diese Zeit und sage mir: Wenn ich es als 15-Jährige geschafft habe, zwei Millionen Franken in drei Wochen zu sammeln, dann schaffe ich wohl auch diese Herausforderung. Und so wächst mein Selbstvertrauen von Erlebnis zu Erlebnis. Mein Rat an dich: Habe den Mut, Neues zu wagen und deine eigenen Erlebnisse zu kreieren. Nur dann kannst du wachsen und dein Selbstvertrauen aufbauen. Es lohnt sich!