Wieso ein starkes Netzwerk für einen schnellen Karriereaufstieg unerlässlich ist
Du möchtest Karriere machen und kannst dir vorstellen mal Geschäftsführerin zu sein?
Andrea Ottolini-Voellmy ist Geschäftsführerin des Departements Biomedizin – ein Joint Venture der Universität Basel, dem Universitätsspital Basel und des Universitäts-Kinderspitals beider Basel mit insgesamt mehr als 800 Mitarbeitenden. Dafür braucht es viel Fingerspitzengefühl und Empathie, politische Überlegungen, Verhandlungsgeschick und das Einbinden der richtigen Personen zum passenden Moment. Andrea ist 45 Jahre alt, verheiratet und hat eine 12-jährige Tochter.
Im Interview sprechen wir mit ihr über ihre Karriere – über die Unterstützung von Mentor:innen, warum es oft Frauen sind, die andere Frauen in den Karrieren ausbremsen und wie sie es als Mutter und Ehefrau schafft den Herausforderungen gerecht zu werden.
Sind naturwissenschaftliche Berufe Männer-Domänen?
Bei uns am Departement Biomedizin sind ca. 60% der Doktorierenden Frauen. Wir haben enorm viele talentierte, hoch motivierte und vielversprechende junge Forscherinnen. Jedoch ist es grundsätzlich sicherlich noch immer so, dass sich mehr Männer für naturwissenschaftliche Berufe interessieren. Dem wird seit einigen Jahren bereits in der Schule entgegengewirkt, indem Mädchen auf sogenannte MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) aufmerksam gemacht werden und sie in diesen Fähigkeiten gestärkt und gefördert werden. Ich denke, viel hat hier mit veralteten Zuschreibungen zu tun. So hiess es früher, Mädchen seien zum Beispiel in Mathematik nicht sehr begabt. Glücklicherweise wird das heute anders vermittelt, wie ich bei meiner Tochter feststelle. Die Gesellschaft, die Schulen, die Politik und die Eltern haben hier die zentrale Aufgabe, von solch genderspezifischen Stereotypen wegzukommen und für Mädchen wie Jungen die gleiche Ausgangslage zu schaffen. Aber auch die Hochschule als Arbeitgeberin ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich talentierte Forscherinnen in verschiedenen Lebensphasen erfolgreich entwickeln können.
Wie hast du es an die Spitze geschafft?
Ich habe versucht effektiv und effizient zu arbeiten, mich stetig weiterzubilden und immer motiviert und engagiert zu sein. Im 2014 war es auch etwas Glück, dass die Universität Basel den Zuschlag für das Leading House eines Forschungskonsortiums erhielt und dafür eine Geschäftsführung suchte. Diese Stelle war ein wichtiger Schritt in meiner Karriere. Mein damaliger Vorgesetzter war für mich eine zentrale Figur, weil er mich in meiner Führungsrolle hat wachsen lassen. Er hat mir ein Grossteil der Werkzeuge vermittelt, die für eine leitende Funktion an einer Hochschule nötig sind. Wir haben stets auf Augenhöhe gearbeitet, und er motivierte mich täglich, einen Schritt weiterzugehen und mir mehr zuzutrauen. Aus meiner Sicht sind solche Mentoren und Mentorinnen wichtig für einen Weg an die Spitze. Es braucht Menschen, die an einen glauben, die einen unterstützen und gleichzeitig kritisch spiegeln, persönlich und fachlich herausfordern.
Gab es dabei auch Hürden oder Hemmnisse?
Ja, klar. Leider sind es oft Frauen, die andere Frauen daran hindern, Karriere zu machen. Ich höre und sehe das immer wieder und habe auch selbst erlebt, dass Frauen Mühe haben, anderen Frauen Erfolg zu gönnen, sie nachzuziehen oder ihnen Türen aufzumachen. In Bezug auf Aufstiegschancen von Frauen gibt es die sogenannte «Krabbenkorb-Metapher». Es geht um das Verhalten «wenn ich es nicht haben kann, kannst du es auch nicht haben». Leider kommt diese Geschichte nicht von Ungefähr, sondern ist oft Realität. Ein weiterer Störfaktor sind die noch immer bestehenden traditionellen Rollenbilder. So habe ich doch tatsächlich auf die Nachricht, dass ich den jetzigen Job bekommen habe, aus dem engeren Umfeld die Frage erhalten, ob ich das denn alles schaffen könne neben dem Haushalt und der Wäsche. Ich glaube, es braucht hier ein Umdenken. Wir sollten anfangen, uns gegenseitig zu stützen und Ängste abzubauen, anstatt zu blockieren. Insbesondere Führungspersonen müssen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden (egal ob Frauen oder Männer) gefördert werden. Sie sollten ihnen Mut machen, deren Potenziale erkennen und ihre Entwicklung unterstützen. Das ist mir ein zentrales Anliegen in meiner Führungsarbeit und dafür setze ich mich ein.
Wie bist du die ersten 100 Tage als Geschäftsführerin angegangen?
Das ist eine klassische Frage beim Vorstellungsgespräch. Daher hatte ich mir bereits während dem Bewerbungsprozess intensive Gedanken dazu gemacht. Ich habe einfach versucht, interessiert, motiviert und aufgeschlossen an die neue Aufgabe heranzugehen. In der Anfangsphase habe ich viele unterschiedliche Mitarbeitende getroffen, zahlreiche Gespräche geführt, mir die Abläufe angesehen. Ein wichtiger Teil war das Kennenlernen meines direkten Teams und meines Vorgesetzten. Dadurch dass meine Stelle neu geschaffen wurde, mussten die Eckpunkte, Verantwortlichkeiten und Abläufe geklärt werden. Ich persönlich liebe klare Strukturen, Prozesse und Zuständigkeiten. Deswegen habe ich mir rasch einen Überblick über Bestehendes verschafft und angefangen, fehlende Prozesse zu etablieren.
Was hast du dir als Geschäftsführerin eines so grossen Departements vorgenommen?
Ich wurde im Rahmen eines grossen Change Prozesses mit neuer Departementsleitung eingestellt. Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist es, diesen Prozess zu begleiten und voranzutreiben, neue Strukturen und Prozesse zu schaffen und zu implementieren. Eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre ist das Zusammenbringen der Mitarbeitenden unserer fünf Standorte. Es geht darum, eine Kultur des Gemeinsamen zu schaffen, eine gemeinsame Identität zu bilden. Auf der persönlichen Führungsebene möchte ich unsere Mitarbeitenden empowern und befähigen, ihnen Selbstverantwortung und Wertschätzung geben. Gleichzeitig möchte ich sie fordern, die Verantwortung tatsächlich zu übernehmen und für das Gemeinsame zu arbeiten. Grundsätzlich versuche ich mit gutem Beispiel vorangehen. Ich bin loyal, ehrlich, transparent und aufgeschlossen. Das erwarte ich auch von Mitarbeitenden. Natürlich erlebe ich in meiner Position immer wieder herausfordernde Momente und Situationen, die eine klare Linie und nicht immer angenehme Entscheidungen verlangen. Grundsätzlich fördere und ermögliche ich gern – und erwarte gleichzeitig einiges, zugegebenermassen manchmal viel. Ich bin eine Perfektionistin. Das ist nicht immer ganz einfach.
Du leitest ein Joint Venture dreier Institutionen – wie schaffst du es, diese zu koordinieren?
Glücklicherweise hängt das ja nicht alles alleine an mir. Mit dem Direktor des Departements habe ich einen kompetenten, motivierten, empathischen und loyalen Chef. Auch arbeiten wir vor allem bei strategischen Entscheidungen eng mit unserem Management Team zusammen. Das besteht aus dem Direktor, sechs sehr engagierten Professorinnen und Professoren und mir als Geschäftsführerin. Wir treffen uns einmal im Monat, die Zusammenarbeit ist sehr konstruktiv und produktiv. Ich leite das operative Geschäft. Die Koordination des Departements (als Joint Venture zwischen der Universität Basel, dem Universitätsspital Basel und des Universitäts-Kinderspitals Basel) ist tatsächlich eine Herausforderung, die mir jedoch Spass macht und die ich täglich aufs Neue bereit bin anzunehmen. Es braucht viel Fingerspitzengefühl und Empathie, politische Überlegungen, Verhandlungsgeschick und das Einbinden der richtigen Personen zum passenden Moment. Das ist ein Grossteil meiner täglichen Aufgabe.
Und welche Herausforderungen ergeben sich dabei?
Das ist ein ziemliches Bündel an Herausforderungen, was meinen Job aber auch so vielfältig macht. Auf der übergeordneten Ebene geht es um die Klärung von Governance-Fragen und Prozessen, dann kommen aber auch alltägliche Stolpersteine dazu wie IT-Berechtigungen, uneinheitliche Regeln und Reglemente, HR- und Finanzthemen. Es ist eigentlich in allen Bereichen des operativen Geschäfts nicht ganz ohne, vor allem die zwei grossen Player Universität und Universitätsspital unter einen Hut zu bringen.
Wie gestaltest du deinen Tag, um möglichst produktiv und effektiv zu sein?
Ich arbeite immer mit Listen. Ich habe ein System von kurz-, mittel- und langfristigen Bulletpoints, die ich entsprechend bearbeite. Herausfordernd ist vor allem, dass ich teilweise die ganze Woche mit Terminen ausgebucht bin. Da muss ich permanent zwischen Inhalten, Fragestellungen, Personen und gar Unternehmen switchen. Zur Bewältigung dieses Geschäftsalltags brauche ich vor allem ein gut funktionierendes Team, das mitdenkt und -zieht sowie Eigeninitiative mitbringt.
Wie passt dein Job in dein Leben?
Natürlich ist es eine grosse Herausforderung, alles unter einen Hut zu bekommen. Ich arbeite sehr viel und bin nicht mehr ganz so oft daheim wie früher. Mein Mann und ich haben aber von Anfang an besprochen, ob und wie das in unsere momentane Familiensituation reinpasst. Wir haben in all unseren Lebensbereichen eine komplette Arbeitsteilung und als Erziehungsform ein wirklich gelebtes Co-Parenting gewählt. Mit guter Koordination passt alles ganz gut zusammen. Mein Mann hat mich immer gestärkt und meinen beruflichen Weg auch in teilweise sehr arbeitsintensiven Phasen zu Hause stets abgefedert. Er arbeitet 80%. Wahrscheinlich ist es schon so, dass jemand in einer Partnerschaft karrieremässig etwas zurückstehen muss, wenn Kinder da sind. Aber das muss nicht zwingend die Frau sein. Wenn Arbeitgeber:innen Männern mehr Teilzeitmöglichkeiten bieten, dann werden vielfältigere Wege und Modelle der Organisation von Familien- und Hausarbeit ermöglicht.
Welche 3 konkreten Karrieretipps hast du für Frauen?
In meinen ersten Tagen als Führungsfrau hatte ich «Weck die Chefin in Dir» gelesen, ein unkompliziertes rasch zu lesendes Buch für Zwischendurch. Sigrid Meuselbach spricht auf sehr unverblümte Weise Themen an, die wahrscheinlich viele Frauen kennen. Ich sage nicht, dass wir alles dem Geschlecht zuordnen können, das wäre viel zu kurz gegriffen. Aber es gibt dennoch Dinge, die deutlich erkennbar sind. Einer der wichtigsten Sätze war für mich: «Du bist die Chefin, Du bist nicht Everybody’s Darling». Das ist mir damals sehr eingefahren. Dieses Gefühl, gefallen zu müssen, es allen recht zu machen, das ist etwas, das viele Mädchen und junge Frauen schon früh eingetrichtert bekommen und nur schwierig abzulegen ist. Ich arbeite noch heute daran.
Ich glaube es ist wichtig, dass wir Frauen uns mehr zutrauen, damit wir nicht in bestehende Genderfallen tappen.
Führungspersonen möchte ich ans Herz legen, alle Mitarbeitenden (ob Frauen oder Männer) zu stärken, zu empowern, zu fördern und zu fordern. Es lohnt sich.
Wo können wir uns mit dir vernetzen?
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