Über IT-Karrieren, was die künstliche Intelligenz mit dem Gender Dream Gap zu tun hat und die Wichtigkeit weiblicher Vorbilder – mit Flurina Baumann, Head Data & Digital Experience bei Emmi Group

Wir hatten kürzlich die Gelegenheit, uns mit Flurina Baumann, Head Data & Digital Experience bei Emmi Group, zu treffen. Flurina bringt eine frische Perspektive in den männerdominierten IT-Sektor und setzt sich leidenschaftlich für die digitale Transformation und die Nutzung künstlicher Intelligenz ein. Durch ihre berufliche Laufbahn und ihr Engagement für Change Management hat sie signifikante Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Technologiebranche gewonnen.

Im Blog lernst du u.a.:

  1. Welche Aspekte du berücksichtigen solltest, wenn du in einem Grosskonzern Karriere machen willst. 

  2. Wie du Vorurteile herausfordern kannst, um erfolgreich zu sein. 

  3. Was es mit dem Gender Dream Gap auf sich hat und warum es wichtig ist, dich damit auseinanderzusetzen.

 

Wie hat sich deine Begeisterung für Digitalisierung und Daten entfacht? 

Ich habe einen Bruder, der ein begnadeter IT-Entwickler ist und sich auch schon als Kind für alle möglichen Technologien begeistern konnte. Diese Begeisterung konnte ich nicht aufbringen und ehrlich gesagt hat es mich auch zu wenig interessiert, um es zu verstehen. Somit hatte ich immer das Gefühl, IT sei das, was mein Bruder versteht und macht.

Mein Zugang zu diesen digitalen Lösungen kam erst als Userin. Bei einem meiner früheren Arbeitgeberinnen bin ich dann per Zufall ins CRM-Management reingerutscht – und war begeistert! Daten, relationale Datenbanken, SQL, eine strukturierte Abfrage-Sprache für relationale Datenbanken, und App-Konfiguration. Es war eine Freude! Gleichzeitig habe ich meine Masterarbeit im Bereich Big Data Analytics zur Vorhersagefähigkeit  von Börsenkursen anhand von Social Media Sentiments geschrieben. 

Kurz darauf habe ich die Chance bekommen, in der IT der Emmi Schweiz AG zu starten, durfte mich dort rasch weiterentwickeln und grosse Projekte übernehmen. Mein Fokus war dabei immer der Mensch. Denn auch die innovativste Technologie, die aussagekräftigsten Daten und der einfachste digitale Prozess ist nichts wert, wenn er von den Nutzer:innen nicht angenommen wird. 

 

Inwiefern engagierst du dich in deiner Rolle für die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI)?

Tatsächlich setze ich mich heute neben Data Analytics und der Digitalisierung auch stark mit dem Potenzial der generativen künstlichen Intelligenz (KI) auseinander. Die KI eröffnet für mich ein völlig neues Feld, auf dem ich meine Leidenschaft für die Verbindung von menschlichem Verhalten und technologischer Innovation ausleben kann. Die KI ist gekommen, um zu bleiben und es ist mir ein grossen Anliegen, die Mitarbeiter:innen auf dieser Reise mitzunehmen. Es ist unsere Verantwortung, das Potenzial zu nutzen und die KI soweit wie nötig zu regulieren. 

 

Du bringst eine Leidenschaft für Change Management und Leadership mit. Wie integrierst du diese Aspekte in deine tägliche Arbeit und welche Auswirkungen siehst du darauf?

In meinem Berufsalltag verstehe ich IT grundlegend als Change Management. Die technischen Herausforderungen sind meistens bewältigbar. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Menschen, die Nutzer:innen, auf die Reise des Wandels mitzunehmen. Deshalb ist das Herzstück eines jeden digitalen Transformationsprojekts nicht die Technologie an sich, sondern das Change Management und damit die Kommunikation. 

Diese Überzeugung spiegelt sich auch in meinem Führungsstil wider. Ich sehe meine Rolle als Leaderin darin, meine Mitarbeiter:innen individuell zu unterstützen, sie zur Weiterentwicklung zu motivieren, zu inspirieren und marktfähig zu halten. Leadership bedeutet für mich, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle wohlfühlen und entfalten können – als Coach, als Rückendeckung und als Visionärin, die das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verliert. Es geht darum, ein Gespür für die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen zu entwickeln, aktiv zuzuhören und strategisch zu handeln. Ich trage die Verantwortung dafür, dass meine Teammitglieder sichtbar werden und vorankommen. Empathie ist hier unerlässlich, ebenso wie der Mut, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen. 

 

Welche Herausforderungen und Chancen siehst du in der Förderung von Leadership und Change Management in grossen Unternehmensstrukturen?

In einem grossen Unternehmen gestaltet sich das Change Management als Herausforderung, da es viele heterogene Gruppen gibt, welche die Frage "What's in it for me?" ganz anders beantwortet bekommen müssen. Da hilft es, gut vernetzt zu sein und sich mithilfe einer ausgeprägten Empathie in andere Personen und deren Herausforderungen hineinzuversetzen. 

Kommunikation spielt eine entscheidende Rolle, um die Relevanz sowie die Dringlichkeit von Veränderungen zu vermitteln und das Top-Management für die Transformationsreise zu gewinnen. 

Gleichzeitig bietet eine grosse Unternehmensstruktur auch Chancen für Leadership: Sie gibt mir als Führungskraft den Spielraum, meine Mitarbeiter:innen individuell zu unterstützen und zu fördern. Ich persönlich schätze die Möglichkeiten, die sich durch Leadership in einem Grossunternehmen bieten.

 

Wie gehst du mit möglichen Bias-Herausforderungen um, sowohl auf individueller Ebene als auch im organisatorischen Kontext?

Die Auseinandersetzung mit möglichen Biases ist ein kontinuierlicher Prozess, sowohl auf individueller Ebene, als auch im organisatorischen Kontext. 

Ich stelle bei mir selbst immer wieder Biases fest und versuche aktiv, diese zu challengen, indem ich innehalte und mich frage, woher ein Gedanke kommt und ob er möglicherweise auf einem Vorurteil beruht. Als Führungskraft bin ich besonders gefordert, da meine Mitarbeiter:innen unterschiedliche Persönlichkeiten, Motivationen und Herausforderungen mitbringen. Dies bestärkt mich, meinen Horizont zu erweitern und bspw. bei Rekrutierungen meine Denkmuster aktiv zu hinterfragen. In meinem beruflichen und auch privaten Umfeld bin ich oft diese etwas "nervige" Person, welche zwischendurch mal auf fehlende Inklusion hinweist. Natürlich gelingt es auch mir nicht immer, meinen eigenen Standard zu erreichen. Es sind ja nach wie vor tief verankerte Denkmuster. Daher bin ich auch froh, wenn mich jemand darauf aufmerksam macht.  

 

Glaubst du, dass Technologien wie künstliche Intelligenz (KI) dazu beitragen können, Biases in geschäftlichen Entscheidungen zu minimieren?

Die Rolle der Künstlichen Intelligenz (KI) bei der Minimierung von Vorurteilen ist ein komplexes Thema, welches die Interaktion zwischen Technologie und sozialen Dynamiken berührt. Viele gegenwärtige KI-Systeme reflektieren menschliche Denkmuster, da sie mit Daten trainiert werden, die vorhandene Biases enthalten. Dies kann zur Verstärkung bestehender gesellschaftlicher Ungleichheiten führen, anstatt sie zu mindern. 

Ein anschauliches Beispiel für den subtilen Einfluss von Biases bietet der "Gender Dream Gap": Mädchen und junge Frauen sehen sich mit eingeschränkten Vorbildern konfrontiert, was ihr Selbstvertrauen und ihre Ambitionen beeinträchtigen kann. Die Darstellung von Frauen in Medien spielt bei der Prägung dieser Denkmuster eine grosse Rolle. Laut dem World Economic Forum wird es noch weitere 136 Jahre dauern, um den globalen Gender Gap zu schliessen. Es wäre also wünschenswert, diese gesellschaftliche Veränderung mithilfe der KI zu beschleunigen. Mein Ideal ist eine KI, die frei von Biases ist und uns das volle Potenzial aller Menschen aufzeigt, was wiederum zur Überbrückung des Gender Dream Gaps beitragen könnte. 

Jedoch offenbaren Beispiele wie Googles Gemini AI, dass es bei dem Streben nach einer Bias-freien KI auch zu unerwünschten Überregulierungen kommen kann. Das zeigt, wie wichtig ein ausgewogener Ansatz ist, um eine realistische Balance zu finden. Die völlige Neutralität einer KI ist vermutlich unerreichbar, da die Menschen von Natur aus nicht neutral sind. Es ist wichtig, dass kontinuierlich an der Neutralität der KI gearbeitet wird, ohne die Vielfalt der menschlichen Perspektive zu ignorieren. Das erfordert nicht nur technologische Innovation, sondern auch ein tiefgehendes Verständnis sozialer Prozesse und die Bereitschaft, bestehende Normen kritisch zu hinterfragen und zu transformieren.

 

Du hast einen Podcast gestartet. Wie hast du dich dafür entschieden? Und welche Themen behandelst du?

Mit meinem Podcast "BeBest! Junge Leaderinnen übernehmen die Weltfrauschaft" möchten ich und mein Co-Host, Patrick Freudiger, den Geschichten inspirierender Frauen eine Bühne geben. Jede Frau hat eine einzigartige Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden. Diese Geschichten handeln von Chancen, die ergriffen wurden, und Hürden, die überwunden wurden. 

Trotz der Fortschritte gibt es immer noch zu wenige Frauen in Managementpositionen und die beruflich ambitionierten Frauen haben oft nur wenige greifbare Vorbilder. Mein Ziel ist es, diese Frauen sichtbar und greifbar zu machen und so einen Beitrag zu leisten, den Gender Dream Gap zu schliessen. 

Ausserdem möchte ich bei aktuellen Manager:innen, heute meistens noch Männer, ein Verständnis für die Bedürfnisse und Gedanken der Frauen schaffen. Damit hoffen wir natürlich auch einen Beitrag zu leisten, dass mehr Frauen gefördert werden und der Gender Gap im Management nach und nach geschlossen werden kann. 

 

Wie siehst du die Rolle von Podcasts bei der Förderung von Themen wie Diversity und Leadership?

Ich bin ein grosser Fan von Podcasts. Sie lassen verschiedene Stimmen zu Wort kommen und bringen persönliche Geschichten direkt in unsere Ohren. Das ist super, um Neues zu lernen und die Welt aus anderen Perspektiven zu sehen. Sie helfen uns, über den Tellerrand zu blicken und Vorurteile abzubauen – und das, während wir Auto fahren, joggen, Wäsche zusammenlegen und vieles mehr. 

Da jede Person mit nur wenig Aufwand einen Podcast starten kann, ist die Vielfalt an Themen und Perspektiven besonders gross. Dazu kommt, dass immer topaktuelle Inhalte, meist gratis, zur Verfügung stehen. Ich hoffe, dass sich dadurch mehr Menschen schnell, unkompliziert und zeitsparend über aktuelle Themen informieren können. 

Im Bereich Leadership und Diversity können somit, wie in unserem Fall, Personen zu Wort kommen, welche sonst vielleicht nicht gerade im Spotlight der grossen Medienproduktionen gestanden hätten. Podcasts bauen Brücken zwischen Theorie und dem echten Leben und geben Tipps, die man direkt umsetzen kann. Kurz gesagt: Podcasts sind ein starkes Tool, um Themen wie Vielfalt und Führung voranzubringen. Sie machen schlau, inspirieren und sorgen dafür, dass wir uns weiterentwickeln – alles direkt im Ohr.

 

Was würdest du jungen Karrierefrauen raten, die in grossen Konzernen Fuss fassen möchten?

Seid mutig und positioniert euch deutlich. Es ist wichtig, dass ihr euch traut, eure Meinung zu äussern und sichtbar zu sein. Ergreift Projekte und Rollen, die Aufmerksamkeit vom Management erhalten. Diese bieten euch eine Plattform, um eure Fähigkeiten zu zeigen und anerkannt zu werden. Sichtbarkeit ist der Schlüssel zum Erfolg in grossen Unternehmen. 

Vernetzt euch ausserdem proaktiv, indem ihr mit relevanten Personen im Unternehmen Mittagessen geht oder Kaffee trinkt. Solche informellen Treffen können wertvolle Beziehungen aufbauen und Türen öffnen. Sucht euch Mentor:innen und Sponsor:innen innerhalb des Unternehmens, die euch beraten und bei eurer Karriereentwicklung helfen können. Fordert eure Führungskräfte auf, euch zu fördern und sichtbar zu machen. Sie müssen wissen, dass ihr ambitioniert seid und Unterstützung braucht. Wenn ihr feststellt, dass eure Führungskraft euch nicht inspiriert oder unterstützt, ist es an der Zeit diese Rolle zu verlassen. Es ist wichtig, in einer Umgebung zu arbeiten, die euer Wachstum und eure Entwicklung fördert. Euer beruflicher Weg ist einzigartig, und mit Mut und der richtigen Strategie könnt ihr überall erfolgreich sein und eure ganz eigene Geschichte schreiben. 

 

Wo dürfen sich Frauen mit dir vernetzen?

Natürlich bin ich auf Linkedin und freue mich über jede Vernetzungs-Anfrage. Falls ihr mich bei einem Event seht, sprecht mich an, dafür sind wir da. 

Wir suchen ausserdem immer wieder inspirierende Frauen für unseren Podcast. Seid also mutig und meldet euch bei mir oder nominiert eure tollen Vorbilder. 

 

Über Flurina

Nach einigen Jahren im Banking hat Flurina aufgrund ihrer Leidenschaft für effiziente digitale Lösungen in der IT Fuss gefasst. Dort konnte sie sich, mit ihrer analytischen Fähigkeit und ihrem Sinn für Kommunikation und Change Management, schnell etablieren und wurde innerhalb weniger Monate Teil eines Leitungsteams. Ihre Fachgebiete sind innovative Technologiefelder wie die digitale Zusammenarbeit und Prozesse, Data Analytics und künstliche Intelligenz. Sowohl im Leadership wie auch bei grossen Transformationsprojekten setzt sie den Mensch ins Zentrum und ist damit sehr erfolgreich. Zusätzlich zu ihrer Rolle in der IT setzt sie sich für Diversität in der Business-Welt ein. Mit ihrem PodcastBeBest! Junge Leaderinnen übernehmen die Weltherrschaft, macht sie weibliche Rollenvorbilder sichtbar, um andere Frauen zu motivieren, ihren eigenen Weg zu gehen. 

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