Der Shitstorm als Chance

Jolanda Spiess-Hegglin ist heute Geschäftsführerin des Vereins #NetzCourage. Dies ist ein gemeinnütziger Verein, welcher sich seit 5 Jahren gegen Digitale Gewalt stellt und Betroffenen erste und nachhaltige, psychosoziale und juristische Unterstützung bietet. #NetzCourage ist jene Organisation, welche Jolanda damals gefehlt hat, als sie nach einem ungeklärten mutmasslichen Sexualdelikt über Jahre einer Medienkampagne ausgesetzt war, welche es in der Schweiz so noch nie gegeben hat. Es war eine Medienkampagne, die sie prägte. Sie lernte, mit Medienmacht, ausgeprägtem Sexismus und anonymen Attacken aus dem Internet umzugehen. Eine Zeitung schrieb letzte Woche, dass in der Schweiz niemand digitalem Hass derart ausgesetzt sein dürfte, wie sie. Aber sie hat die Zerstörungskräfte und die darunter liegenden Mechanismen inzwischen analysiert und durchschaut.

Im Interview sprechen wir mit ihr über ihr Erlebnis, warum es sich lohnt stur zu sein und wieso es so wichtig ist, dass wir uns mit Gleichgesinnten verbünden.

 

Was ist deine persönliche Erfahrung und wie hat es dein Denken darüber beeinflusst, Druck ausgesetzt zu sein resp. einen Shitstorm durchzumachen?

Ich konnte erst dann mit all dem umgehen, als ich realisierte, dass es nicht um mich als Person geht, sondern dass ich lediglich eine Projektionsfläche der Aggressoren bin. Ich hätte mich jederzeit zurückziehen können, dann hätte es aufgehört. Doch das ist es ja gerade. Ich werde deshalb gejagt, weil ich etwas in Bewegung setzte. Jene, welche mich noch heute verleumden und niederschreiben, haben eben auch ganz schön viel zu verlieren.

Ich finde solche Ratschläge wie ‘zieh dich doch zurück’ oder ‘lass Gras drüber wachsen’ etwas vom Perfidesten überhaupt. Manchmal sind solche Ratschläge ja gut gemeint, doch meistens steckt Eigennutz dahinter. Schweigen nützt den Tätern. Oftmals kommen diese Ratschläge genau aus diesem Bereich. Ich wollte nie ‘Gras drüber wachsen lassen’. Weshalb auch? Damit sich eine Ungerechtigkeit festigen kann? Ich wollte die Täter immer mit ihren Fehlern konfrontieren. Das mache ich bis heute, was manche zur Weissglut treibt. So ist zu erklären, weshalb ich in Täterkreisen dermassen zur Reizfigur wurde und dies wohl noch einige Zeit bleibe.

 

Was hat dich dazu motiviert, eine Verfechterin des Wandels zu werden?

Ich sehe inzwischen, was sich alles verändert hat in den letzten Jahren. Ich konnte diese Zeit aktiv mitprägen und habe stets Druck gemacht, eine Veränderung für Frauen und Minderheiten zu erreichen. Zu sehen, dass sich was bewegt, ist der beste Grund dafür, genau so weiterzumachen.

 

Wie genau setzt du dich für Veränderung ein und mit welchen Erfolgen und Herausforderungen wurdest du bisher konfrontiert?

Ideen und Impulse schnell umzusetzen war mir immer wichtig. So durfte ich zum Beispiel für das Projekt #NetzPigCock, einen Anzeigegenerator für ungefragt erhaltene DicPics, vergangenen Herbst den Innovationspreis #FemBizSwizz-Award abholen. Da war zuerst die Idee (etwas Ähnliches gab es mal in Deutschland schon) und es musste sofort eine Lösung her, weil das Problem dieser Penisbilder akut und unerträglich war. Schnell umgesetzt, schlug der #NetzPigCock ein wie ein Meteorit. 1'178 Strafanzeigen wurden im ersten Betriebsmonat generiert. Das ist doch purer Wahnsinn! Aber ich reihe nicht Projekt an Projekt – das könnte ich ja nie finanzieren. Manchmal bleibe ich einfach stur. Das kann ich sehr gut und je nach Situation bringt auch meine Sturheit die nötige Veränderung.

 

Welchen Rat hast du für andere, die einen Shitstorm durchmachen müssen?

Bleibt nie allein – versucht es nichtmal. Schaut euch das Zeug auch nicht an. Setzt euch mit #NetzCourage in Verbindung. Holt euch sofort Unterstützung und solidarisiert euch. Das gilt übrigens auch in anderen Fällen. Frauen sollen gemeinsam vorwärts kommen. Nie wieder soll sich jemand allein und fallengelassen fühlen. Ich persönlich habe mich damals – als es #NetzCourage noch nicht gab – jeweils für ein paar Stunden zurückgezogen, ich ging schlafen. So lernte ich, in gewissen Situationen meine Person vom Geschehenen zu trennen und konnte in kürzester Zeit neu starten. Dann war ich wieder voll da und es war möglich, den Dreck allein zu bewältigen. Dies braucht aber Zeit und ist nich kompatibel mit einem Arbeitsalltag. Ich war damals ein Jahr lang krankgeschrieben und konnte mir solche Rückzüge erlauben. Ich weiss nicht, wie ich das sonst überstanden hätte. Aber wie gesagt, heute gibts #NetzCourage und wir können uns um alles kümmern, um Datensicherungen, Recherchen, juristische Abklärungen und – am Wichtigsten – um die Psychohygiene.

 

Was ist die beste Ressource für Leute, die tiefer in das Thema 'Shitstorm' eintauchen möchten?

Wenn man solches nicht selbst erlebt hat, ist's schwierig, ein Gefühl dafür zu bekommen. Bei der Lektüre unserer Ambulanz-Rapporte bekommt man eine Vorstellung dieser Abgründe. Mein Team und ich tragen viel mit uns rum, was wir nicht wirklich mit anderen besprechen können. Das ist oft recht belastend. Wir sehen Sachen, Kommentare im Netz, welche uns selbst fertigmachen. Durch unsere Arbeit setzen wir uns täglich selbst dem Hass aus, machen uns zur Zielscheibe. Ich wünschte, es gäbe Schutzanzüge, welchen wir uns manchmal entledigen könnten. Wenn ihr uns also braucht, meldet euch gern. Oder werdet Mitglied oder unterstützt unsere Arbeit finanziell, damit wir diese Hilfeleistung noch lange kostenfrei anbieten können. Die Finanzierung ist nämlich ein Riesenproblem. Aber stürzt euch nicht freiwillig in diesen unüberschaubaren Sumpf. Achtet auf euer Umfeld, ob da jemand Unterstützung braucht.

Letztes Jahr hat 3Sat (in Kooperation mit SRF) einen Dokfilm über meine letzten Jahre ausgestrahlt, er trägt den Titel ‘Starke Frauen’ und wurde moderiert von Patricia Laeri. Da wird zur digitalen Gewalt, welche ich erlebte, auch noch der mediale Machtmissbrauch nachgezeichnet. Wer also noch tiefer eintauchen möchte, kann sich den Film in der Mediathek anschauen.

 

Wo können wir uns mit dir vernetzen?

 

Du willst mehr zum Thema erfahren, dann melde dich noch rechtzeitig fürs Modul 7 der womenmatter/s Academy ‘Die Leiter hoch’ an. Am 14.1.2022 ist Jolanda Gastreferentin. Du lernst von ihr mit Kritik umzugehen, so dass du deinen Karriereweg erfolgreich weiterverfolgen kannst.

Zurück
Zurück

Eine Karriere als Social Media Managerin

Weiter
Weiter

Eine Karriere in Kommunikation