Karriere als Kunsthistorikerin und was Kunst und Wirtschaft gemeinsam haben

Du strebst eine Karriere im Bereich Kunst an oder bist bereits als (Kunst-)Historikerin tätig? Dann ist unser Interview mit Jana Lucas genau für dich. 

Jana ist promovierte Kunsthistorikerin, hat sich jedoch dann für eine unkonventionellere Schiene entschieden und ihr eigenes Unternehmen gegründet, wo sie Prinzipien der bildenden Kunst für neue Perspektiven im Management nutzbar macht.

Im Interview erzählt uns Jana, wie sie sich zu diesem Schritt gewagt hat, was wir von Künstler:innen für eine Karriere in der Wirtschaft lernen können und wieso es wichtig ist, dass wir uns Vorbilder aus der Geschichte suchen. 

 

Du bist an Kunst und Unternehmertum interessiert – zwei ganz unterschiedliche Bereiche. Wie kam es dazu?

Während meiner Zeit in der Ausstellungsagentur habe ich zahlreiche Workshops mit Unternehmensvorständen und Führungsgremien durchgeführt. Mit diesen Führungspersonen zusammenzuarbeiten fand ich spannend. Ich wollte aber meine kunsthistorische Arbeit auch wieder stärker in den Vordergrund stellen. So habe ich beides miteinander kombiniert. Der Umgang mit Kunst schult die Vorstellungskraft sowie die Wahrnehmungs- und Interpretationsfähigkeit, erhöht die Innovationsfähigkeit, befähigt zum Gestalten und Bewerten von Qualitäten. Alles Eigenschaften, welche ich im unternehmerischen Kontext benötige. Davon ausgehend habe ich angefangen, Fragestellungen von Führungskräften im Dialog mit Kunstwerken, z.B. im Museum, zu diskutieren. Bei Testdurchläufen hat sich schnell gezeigt, dass das Denken in Auseinandersetzung mit Kunst von den Ergebnissen her ergiebiger sowie nachhaltiger ist als Workshops mit Flipchart, Post-its und modischen Innovationsmethoden. 

Kunst spricht uns auf verschiedenen Ebenen an, ist rational und emotional. Diesen Horizont braucht es auch für eine auf vielen Ebenen nachhaltige Wirtschaft.

Wann und wieso hast du dich dazu entschieden, ein Buch über Unternehmerinnen und Führungsfrauen aus der Geschichte zu schreiben?

Bevor ich mich selbständig gemacht habe, arbeitete ich bei einer Ausstellungsagentur, die Brandlands, Besucherzentren und touristische Erlebnisse entwickelt. Bei den zahlreichen Workshops mit den Auftraggeber:innen, vor allem Verwaltungsratsgremien und Unternehmensvorstände, traf ich nur selten Frauen an. Das hat mich total frustriert. Deswegen machte ich mich auf die Suche nach historischen Vorbildern für Führungsfrauen und Chefinnen. Ich war überrascht, wie viele beeindruckende Wirtschafts- und Führungsfrauen ich gefunden habe. Arbeitsmässig stand ich damals mit beiden Füssen im Storytelling und dachte, die Geschichten dieser Frauen kann und sollte man besser, attraktiver erzählen als bisher. Ich wollte keine trockenen Biografien schreiben, sondern Texte, die spannend zu lesen sind und zugleich motivieren, selbst aktiv zu werden. Die Protagonistinnen in meinem Buch haben Visionen entwickelt und ihr Ding durchgezogen, diesen Macherinnengeist wollte ich vermitteln.


Was können Unternehmer:innen von Künstler:innen lernen?

Da gibt es zahlreiche Punkte, z.B. heisst mit Kunst zu arbeiten, sich auf das 'Wie', also auf die Umsetzung zu konzentrieren. Künstler:innen sind Umsetzungsspezialist:innen. Das Umsetzen, sprich Realisieren von Ideen und Zielen ist auch im unternehmerischen Kontext essenziell. Wenn Unternehmer:innen beginnen, wie Künstler:innen zu denken und zu gestalten, finden sie bspw. schnellere und kreativere Lösungsstrategien aus der gegebenen Situation und mit dem vorhandenen Material, das zur Verfügung steht. Das konkrete Kunstwerk erfordert oft und genauso wie im Management einschränkende Entscheidungen. Aus einer Vielzahl von Optionen müssen sich Künstler:innen genauso wie Manager:innen auf eine Form und damit auf eine Lösung konzentrieren. Damit verliere ich nicht an Möglichkeiten, sondern habe die Chance, die eigene Wirkung zu steigern. 

Welche drei Tipps aus der Kunst helfen uns dabei, unsere beruflichen Vorhaben umzusetzen und uns besser zu vermarkten?

Erstens, frag dich: Wie steigere ich meine Wirkung? Wie werde ich sichtbar? 

Im Museum hängen nur Werke von Menschen, die sich gewagt haben, ihren eigenen Stil zu entwickeln, etwas eigenes zu machen. Die auch mal ausgehalten haben, damit vielleicht im Abseits zu stehen. Wie etwa die Impressionisten. Ein:e Impressionist:in zu sein, galt anfangs als Schimpfwort. Wer ein Meisterwerk entwickeln will, braucht einen eigenen Stil und einen unbedingten Durchhaltewillen.

Zweitens, frage dich: Was ist wirklich essenziell von dem, was ich tue? 

Wir beschäftigen uns häufig mit viel zu vielen Sachen, wollen zu viel auf einmal sein. Das lenkt vom Eigentlichen ab. Ich veranschauliche das gern an einer Geschichte, die über Michelangelo erzählt wird. Als er den David fertig gestellt hatte, wurde er gefragt, wie er es geschafft habe, aus dem über fünf Meter langen Marmorblock die Figur zu schlagen. Vor ihm hatten sich schon andere Bildhauer erfolglos daran versucht, den Block zu bearbeiten. Michelangelos Antwort war simpel. Es sei ganz einfach gewesen, denn der David hätte sich bereits im Marmorblock befunden. Er habe einfach das weggenommen, was nicht der David war.
Und drittens noch etwas Praktisches. Im künstlerischen Schaffensprozess ist es zentral, sich ins Detail zu vertiefen und gleichzeitig einen Schritt zurückzutreten, um Abstand zu gewinnen und auf die gesamte Leinwand zu blicken. Dadurch lässt sich die eigene Arbeit mit dem Blick von aussen beurteilen und es ist möglich, zielorientiert weiterzuarbeiten bzw. zu korrigieren. Der Wechsel zwischen Aussenperspektive und Detailarbeit ist zentral.


Wieso sollten wir uns Vorbilder aus der Geschichte suchen? 

Als Frauen brauchen wir eine Tradition, mit der wir uns identifizieren können, um uns an den weiblichen Vorbildern zu orientieren und mehr Frauen den Weg in Führungspositionen zu ermöglichen. Zum anderen braucht es den Blick in die Geschichte, um zu erkennen, dass sich aktuelle Krisen wie der Klimawandel nicht mit denselben Herangehensweisen lösen lassen, welche sie hervorgebracht haben. Strategien aus der Zeit der Kolonialisierung und der Industrialisierung sind in Bezug auf eine ökologische, ökonomisch sowie soziale Nachhaltigkeit nicht zukunftsfähig. Dies wird allerdings erst sichtbar, wenn wir die Vergangenheit vor uns sehen, anstatt sie nur hinter uns zu lassen. Dann öffnet sich der Blick für Alternativen und neue Wirtschaftsweisen.

Was zeichnet die damaligen Wirtschaftsfrauen aus, was uns heute vielleicht abhanden gekommen ist?

Die meisten von ihnen besassen deutlich mehr Mut und Risikobereitschaft sowie die Entschlossenheit, etwas trotz zahlreicher Hindernisse über Jahre hinweg durchzuziehen. In jedem Risiko liegt immer auch eine grosse Chance. Das veranschaulicht zum Beispiel die Witwe Clicquot, die ein mit ihrem besten Champagner beladenes Schiff auf eine extrem risikoreiche Reise nach Russland schickt. Sie hätte den immens teueren Champagner verlieren können, so aber wurde sie Marktführerin in Russland. Oder Martha Matilda Harper, die als ehemalige Hausangestellte einen Haarsalon an der teuersten Adresse im Ort eröffnet und sich Ende des 19. Jahrhunderts in den USA vom Dienstmädchen zur Multimillionärin emporarbeitet. Ihr Konzept hätte nicht aufgehen können, weil es damals noch keine Haarsalons gab. So aber legte sie den Grundstein für ein Franchise-Unternehmen mit 500 Salons weltweit.

Die Frauen aus meinem Buch besassen den unbedingten Willen, Verantwortung zu übernehmen und gestalten zu wollen. Sie haben einfach gewagt und gehandelt. Heute besitzen wir ein viel stärkeres Sicherheitsdenken, probieren zu wenig aus und verzichten darauf, selbst zu definieren, wie unser Leben idealerweise gestaltet werden sollte.


Welche der früheren Erfolgskriterien für Frauen gelten auch heute noch?

Am Ende meines Buches habe ich zwölf Erfolgskriterien zusammengefasst, welche die porträtierten Frauen verbindet. Sie sind zeitlos. Dabei zeigt sich, dass spezielle Charaktereigenschaften, persönliche Kompetenzen und Fähigkeiten grundlegend sind, um die eigenen Ziele zu erreichen. Diese erweisen sich als wichtiger als technisches Wissen und Kapital.  

Die 12 Erfolgskriterien lauten: 

  1. Mutig handeln, Risiken eingehen: Dabei geht es darum, mehr zu wagen als andere und sich von Hindernissen nicht beirren zu lassen, anstatt durch ein Sicherheitsdenken auf der Stelle zu treten.

  2. Konstruktive Unzufriedenheit zeigen: Eine kreativ-konstruktive Haltung ermöglicht es, Lösungen zu sehen, vieles auszuprobieren und Herausforderungen mit ungewohnten Strategien zu begegnen.

  3. Disziplin und Durchhaltevermögen haben: Disziplin schlägt Motivation, Talent und Kapital. Nur wer bereit ist, sich jeden Tag anzustrengen und über viele Jahre am eigenen Projekt zu arbeiten, erhält irgendwann beachtliche Ergebnisse.

  4. Eine starke Vision haben: Das Setzen von ausserordentlichen Zielen sowie ein strategischer Weitblick in die Zukunft bilden die Grundlage für herausragende Ergebnisse. Wer in der Lage ist, eine Vision zu entwickeln, eröffnet sich erst die Möglichkeit, diese zu erreichen.

  5. Vorgegebene Wege verlassen: Wege zu beschreiten, die noch niemand begangen hat, macht konkurrenzlos und einzigartig.

  6. Die Erste sein: Wer als Erste etwas erreicht, hat viele Wettbewerbsvorteile. Als Erste erhält man grössere Aufmerksamkeit, als Erste gelingt es leichter, Marktführerin zu werden, als Erste bleibt man in Erinnerung.

  7. Verantwortung annehmen und handeln: Wenn sich die Möglichkeit bietet, Verantwortung zu übernehmen, lohnt es sich, die Chance zu ergreifen. Viele der Frauen kamen erst durch Notlagen wie dem Tod ihres Mannes in die Situation, ein Unternehmen zu leiten.

  8. Ein starkes Netzwerk aufbauen: Wer erfolgreich sein will, muss kommunikationsfähig sein und weit gestreut Beziehungen gestalten.

  9. Bereit sein, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen: Eine grosse Reichweite erhält, wer unermüdlich für sich Werbung macht. Dazu gehört manchmal auch, Konflikte öffentlich auszutragen, unbequeme Positionen einzunehmen und Gegenwind auszuhalten.

  10. Eine klar definierte Organisationsstruktur und Abläufe zu haben: Ein klar definierter Tagesablauf schafft Struktur und ermöglicht Produktivität. Die meisten der porträtierten Frauen haben nicht nur ihre Produkte optimiert, sondern ebenso ihre Unternehmensstruktur und -prozesse entwickelt.

  11. Verschiedene Geschäftszweige kreieren: Mehrere Geschäftssegmente erzeugen Synergieeffekte, beflügeln sich wechselseitig und verstärken den Erfolg. Mehrere Geschäftszweige bieten Sicherheit.

  12. Eine hohe Qualität, eine überzeugende Botschaft transportieren: Ein überzeugendes Produkt mit einer signifikanten Wertinnovation für die Kund:innen wird sich durchsetzen. Dafür lohnt es sich, Anstrengungen in Kauf zu nehmen. Oder wie es die spätmittelalterliche Autorin Christine de Pizan aus meinem Buch sagen würde: „Die Quelle bedeutender Anstrengungen ist stets das leidenschaftliche Herz.“


Über Jana

Jana Lucas ist ursprünglich Kunsthistorikern. Nach ihrer Promotion (studiert hat sie in Leipzig und Bologna) an der Universität Basel hat sie als Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Museum Thurgau gearbeitet – eine klassische kunsthistorische Laufbahn. Später hat sie sich jedoch dazu entschieden, einen Job bei der Ausstellungsagentur Steiner Sarnen Schweiz anzunehmen, wo sie für das Storytelling zuständig war. Mit diesem Rucksack voller Erfahrungen und Know-how hat sich Jana schlussendlich dazu entschieden, sich mit ihrem Unternehmen The Artgrade Research Group selbstständig zu machen. 

Heute berät sie Organisationen im Hinblick auf Innovation und Strategie, indem sie Prinzipien der bildenden Kunst für neue Perspektiven im Management nutzbar macht. Daneben schreibt sie Bücher und vermittelt einen Einstieg in die Welt der Kunst durch Privatführungen, Zoom-Events und Kursen an der Volkshochschule. Vor kurzem ist ihr aktuelles Sachbuch Die geheimen Pionierinnen der Wirtschaft – Aussergewöhnliche Frauen, die unsere Wirtschaftswelt nachhaltig geprägt haben erschienen. Für die Förderung von Frauen im Beruf engagiert sich Jana zudem ehrenamtlich, als Co-Präsidentin von BPW Basel.


Du findest Jana auf LinkedIn und Facebook.

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