Wenn deine gute Freundin plötzlich deine Vorgesetzte wird – nett lächeln, nicken und Grenzen setzen
Als ich anfing als Kommunikations-Spezialistin in der Tourismusbranche zu arbeiten, war ich oft auf Projekten, die abteilungsübergreifend waren. So lernte ich (wir nennen sie jetzt mal) Simone kennen. Simone leitete das Sales Team – eine coole, freundliche Frau mit Drive. Und so kam es dann auch, dass wir uns regelmässig nach der Arbeit auf ein Abendessen oder Drink verabredeten. Mit der Zeit, wurde sie meine gute Freundin.
Das war auch alles ganz lustig, bis ich in Simones Team wechselte, um dort einen Sales Job zu übernehmen.
Sie hatte keine Grenzen – und respektierte meine nicht
Ein paar Wochen nachdem ich den Job angefangen hatte, rief Simone mich nach Feierabend an, um Luft abzulassen – zuerst ging es um ein Kunden-Meeting, das wir gemeinsam am nächsten Tag durchführen wollten, dann wurde es persönlich. Anfangs war ich ja noch offen für solche Gespräche – wir waren ja schliesslich Freundinnen und ich wollte meine neue Chefin auch beeindrucken. Irgendwie wurde es mir aber auch immer unwohler, denn sie rief mich oft an, um über ihre Chefs oder MitarbeiterInnen zu klatschen, die sie weniger mochte. Einmal rief sie mich sogar an, um mir zu sagen, dass sie überfordert war, einen Weg zu finden, um eine Kollegin, die oft Unruhe stiftete, los zu werden.
Simone kannte auch keine professionellen Grenzen im Office und beschwerte sich ständig bei mir über all ihre persönlichen Probleme und unterbrach so auch laufend meine Arbeit, um darüber zu sprechen, wie hart ihr Tag gerade ist oder um mich über Dinge zu informieren, die ich nicht wirklich wissen musste. Mein Feedback, dass wir solche Gespräche wohl nicht unbedingt im Office, wo andere mithören können, besprechen sollten, interessierte sie nicht.
Sie brauchte auch gerne mal unsere One-to-One-Meetings, um mit mir über ihre Beziehung zu ihrem Freund zu sprechen, anstatt über meine Arbeit und Weiterentwicklung innerhalb des Unternehmens.
Sie war mir gegenüber auch sehr viel direkter als zu ihren anderen MitarbeiterInnen – auch dann, wenn sie schlechte Laune hatte oder gestresst war, was ich dann oft viel mehr zu spüren bekam als andere. Sie fand das natürlich in Ordnung, denn ihrer Meinung nach taten wir dies ja beide gelegentlich, wenn wir gestresst und übermüdet waren.
Sie war mir gegenüber sehr unterstützend und ermutigend
Das Schwierige an der Sache war, dass sie mir gegenüber auch oft sehr unterstützend und ermutigend war und anderen stets mitteilte, wenn ein Erfolg mein Arbeitsprodukt war. Deshalb wollte ich natürlich unsere Beziehung auch aufrecht erhalten – ganz nach dem Motto: eine starke Beziehung zu meiner Chefin könnte ja eine grundlegende Karriereinvestition sein. Und zu einer besseren Kommunikation und Zusammenarbeit beitragen. Zudem war ich ja auch dankbar, dass ich dank ihr ein gutes Standing bei ihrem Chef hatte.
Es liegt nicht an dir, es liegt an mir
Am Ende musste ich aber auf meine Intuition hören. Wenn sich etwas komisch anfühlt, sollte man (Frau!) dieses unangenehme Gefühl ja auch nicht einfach ignorieren. Und wir sind ja schliesslich erwachsene Leute.
Eventuell hattest du auch schon mal eine gute Freundin, mit der du unzertrennlich warst und mit der du alles geteilt hast. Und plötzlich ist Schluss, nichts mehr wie es war – oft muss auch gar nicht wirklich was vorgefallen sein. Lebenssituationen ändern sich, ihr entwickelt euch in verschiedene Richtungen und lebt euch langsam auseinander. Das ist auch ok so, it happens as you grow. Im Privaten lassen sich solche Freundschaften ja auch leicht(er) beenden – ihr hört euch eventuell noch eine Zeit lang via Text-Nachrichten oder Telefongesprächen und irgendwann verläuft sich das Ganze im Sand.
Aber was passiert, wenn du deine Freundin zwangsläufig bei der Arbeit siehst? Und deine weitere Karriere praktisch von deiner Freundin entschieden wird? ‘Shit that’s never going to work’, dachte ich mir.
Ich habe mir also Gedanken zu meinen Grenzen gemacht. Und für mich hat die Freundschaft zu meiner Chefin, die gleichzeitig meine weitere Karriere oder meine Gehaltserhöhung bestimmt und gleichzeitig als Coach oder Mentor fungieren sollte, Grenzen. Und so ist uns der Balance-Akt zwischen Beruflichem und Privatem leider nicht gelungen.
Neu in der Arbeitswelt, habe ich mich aber nicht wirklich getraut, etwas zu sagen. Schliesslich kam die Situation auch nicht mit einer ‘Risiken und Nebenwirkungen’-Packungsbeilage – ein Arzt oder Apotheker hatte ich auch nicht in meinem Freundeskreis, den ich hätte konsultieren können.
Ich hatte Angst, wie sich unsere Beziehung oder Dynamik entwickeln würde, habe aber dann trotzdem meinen ganzen Mut zusammengenommen und Simone nach der Arbeit bei einem Drink über den Wechsel meiner Rolle und unserer Beziehung angesprochen. Ich habe ihr ganz ehrlich gesagt, dass ich unsere jetzige Arbeitsplatzdynamik seltsam finde und dass es für mich nicht einfach ist, sie als Freundin und wichtige Vertraute plötzlich als meine Vorgesetzte zu haben. Und dass ich auch spürte, dass sich eine gewisse Eifersucht im weiteren Team bemerkbar machte.
Simone hat das Ganze zur Kenntnis genommen. And that was it. Aber die Situation zwischen uns beiden war von da an seltsam und unangenehm.
Meine unangenehme Situation hat sich dann aber gelöst, als meine Chefin kurz darauf befördert wurde und ein anderes Team übernahm.
Das nächste Mal weiss ich’s besser
Ich würde mich das nächste Mal viel eher abgrenzen, denn je länger du wartest, desto unangenehmer wird das Gespräch. Obwohl die Situation für mich geklärt war, hinterliess sie einen bleibenden Eindruck bei mir: Mir wurde klar, dass sich Grenzen nicht nur auf die körperliche Nähe oder Zeit beziehen, sondern auch auf Gespräche oder Beziehungen – auch auf der Arbeit. Und das ich mir das nächste Mal, angesichts des schmalen Grats zwischen beruflichen Beziehungen und persönlichen Freundschaften, viel eher die Frage stellen würde: Wie nah ist zu nah?
Denn schlussendlich, hat dein:e Chef:in die Macht über deinen Lebenslauf und dein Gehalt, daher ist die Machtverteilung der ‘Freundschaft‘ sowieso nie gleichberechtigt. Ausserdem kann es zu Spannungen zwischen dir und deinen KollegInnen kommen, wenn du mit deinem/deiner Chef:in eine freundschaftliche Beziehung pflegst.
Am Ende muss jeder und jede selber herausfinden, wo die persönlichen Grenzen sind. Ich habe für mich entschieden, dass ich zwar stets eine freundliche, aber keine freundschaftliche Beziehung zu meinem/meiner Chef:in pflegen möchte. Was ich ASAP heute machen würde, wenn ich nochmals in einer solchen Situation wäre:
Grenzen finden: Wenn du nach der Arbeit auf einen Drink eingeladen bist, ist das natürlich in Ordnung. Aber wenn du zum Beispiel zu einem Konzert, einem Ballspiel oder einem Film eingeladen bist (ohne dein Team), musst du eventuell einen höflichen Weg finden, dies abzulehnen.
Grenzen setzen: Wenn das, was als freundliches Gespräch beginnt, dazu führt, dass dein:e Chef:in dich beiseite zieht, um über ein schief gelaufenes Date zu sprechen, liegt es an dir, Grenzen zu setzen. Reagiere herzlich, aber schaffe Abstand: <<Es tut mir leid, das zu hören, aber lass uns das nach der Arbeit und nicht im Büro besprechen.>>
Gespräche freundlich, aber professionell führen: Du würdest mit deinen FreundInnen nicht so reden wie mit deinem/deiner Chef:in. Beschränke daher auch den ungezwungenen, arbeitsfreien Chat auf ein Minimum, wenn du mit deinem/deiner Vorgesetzten sprichst.
Bevorzugungen vermeiden: Das Letzte, was du brauchst, ist, wenn andere den Eindruck erhalten, dass du von deinem/deiner Chef:in bevorzugt wirst – du riskierst den Respekt deiner KollegInnen zu verlieren.
Grenzen sind persönlich
Ich habe übrigens auch meinen Freund und meine Co-Gründerin zu diesem Thema befragt – die Nähe zu Vorgesetzten beschäftigte sie weniger. Sie sehen sogar Vorteile in einer engen Beziehung zum Chef oder der Chefin, aber dafür hatten sie ganz andere Themen, die sie rund ums Thema Abgrenzung schwierig fanden.
Naja, so unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich sind unsere Bedürfnisse, Grenzen zu setzen. Wichtig ist also, dass du herausfindest, wer oder was dir zu nahe kommt und dass du lernst, dies entsprechend zu kommunizieren.