womenmatter/s

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Die gebrochene Leitersprosse zur ersten Beförderung

In einem Interview mit unserer Lieblingsmoderatorin, Catherine Riesen, erzählen wir, warum wir womenmatter/s gegründet haben, welchen Hürden wir seit unserer Kindheit begegnet sind und welche Themen wir heute konkret angehen, um den Berufseinstieg anderer Frauen zu erleichtern.

Catherine: Stef, erzähl mal, wie bist du aufgewachsen?

Stef: Als fleissiges Mädchen, von dem erwartet wird, dass es reifer ist als sein eigentliches Alter. Ich war Klassenbeste, habe drei verschiedene Flöten gespielt. Und Xylophon! Mein Musiklehrer hat jedes Jahr wieder aufs Neue versucht mich für die Hauptrolle des jährlichen Musicals einzusetzen – no Chance! Ich wollte ja nicht im Vordergrund stehen. Ich hatte zwar meine guten Freundinnen, habe mich aber auch gerne zurückgezogen und gelesen. Ich war eine Leseratte und wollte alles im Detail wissen. So habe ich mir immer und immer wieder dasselbe Buch aus der Bibliothek ausgeliehen – ein Buch übers Universum. Ich habe es bestimmt 3x von vorne bis hinten gelesen. Ich wollte ja Astronautin werden. Mein Papi mit seinem Unternehmerhut hat mich dann mal freundlich darauf hingewiesen, dass es ja nicht ganz einfach sei NASA-Astronautin zu werden. Und dass wenn ich jemals mein eigenes Unternehmen leiten oder eine Spitzenposition einnehmen möchte, dann wäre es allenfalls schlauer, wenn ich Business studieren würde. He has a point, I thought!

Gesagt, getan – ich habe also fleissig mein Bachelor- und Masterstudium abgeschlossen. Als ich das Zeugnis in der Hand hielt mit der Abschlussnote ‘magna cum laude’ war mein erster Gedanke: Wieso nicht ‘summa cum laude’?! Ich hatte immer hohe Ansprüche an mich. Denn vor noch gar nicht allzu langer Zeit, war ich fest davon überzeugt, dass mich mein Fleiss und mein akademischer Erfolg, bestens auf mein Berufsleben vorbereiten würde.

Catherine: Mary, war deine Kindheit resp. Schulzeit ähnlich?

Mary: Nein, gar nicht. Ich verbrachte meine Freizeit am liebsten draussen – beim Fussballspielen. Still sitzen und ruhig etwas zu lesen, war auch nie mein Ding. Ich mochte ‘Rambazamba’ und fand es toll, von vielen Menschen umgeben zu sein, Gruppen anzufeuern, Menschen zu motivieren – darin war ich gut. Somit war ich nie das ‘klassische Mädchen’, aber diese Rolle war ja auch schon vergeben: von dir – du bist ja meine ältere Schwester – und auch meine beste Freundin erfüllte diese Rolle bereits. So war ich z.B. auch bei jedem Rollenspiel der König und nicht die schöne Prinzessin.

Ich mag mich noch erinnern, als im Musical ein paar Tage vor der Premiere der König ausfiel. Ich bin natürlich sofort eingesprungen und habe die Hauptrolle mit dem meisten Text über Nacht geübt. Nach dem Auftritt meinten einige Eltern erstaunt: <<Welcher Junge hat den König so gut gespielt?>> Und das war auch nicht das einzige Mal, als ich gefragt wurde, ob ich ein Junge oder Mädchen sei. Ich war damals zu jung, um die Frage überhaupt zu verstehen, denn ich fühlte mich immer als Mädchen – aber irgendwie habe ich wohl nicht dem gesellschaftlichen Bild entsprochen.

Am Anfang meiner Schulzeit war ich definitiv keine Vorzeige-Schülerin und hatte meist nur durchschnittliche Noten. Als ich in die Mittelstufe kam, meinte mein Deutschlehrer enttäuscht, er hätte sich so auf ein zweites Dürr-Mädchen gefreut und nun würde ich kommen. Ich wäre ja eine Null in den Sprachen, könne nicht lesen und würde es eh nie ans Gymnasium schaffen, meinte er herablassend. Lediglich mein Mathelehrer meinte, dass ich es doch probieren sollte ans Gymnasium zu gehen. Ich schlängelte mich also durch die Schule – mit wenig Liebe zu Details, aber um so mehr Ehrgeiz!

Schlussendlich habe ich übrigens mit der besten Matura in meiner Klasse abgeschlossen und einen tri-nationalen Bachelor in drei Sprachen absolviert. Und später noch einen Master angehängt. Also enorm viel Widerstand in frühen Jahren und das für nichts!

 

Catherine: Stef, hat sich der Fleiss in der Arbeitswelt bewährt?

Stef: Nein, mein erster Hinweis, dass Schule nicht gleich Arbeit ist, kam in meiner Praktikumsstelle. Ich war nun an einem Ort, an dem meine männlichen Kollegen im Arbeitsleben zu gewinnen schienen. Nicht weil sie besser waren als ich, sondern weil es ihnen leicht fiel, Kontakte zu knüpfen, sich zu verkaufen und zu vernetzen. Als introvertierte Person, fiel mir genau das schwer. Während ich das fleissige Mädchen war, das hinter dem Computer arbeitete, gingen sie im Büro herum, hielten ein Schwätzchen hier und da und haben sichergestellt, dass auch sicher jede und jeder weiss, wer sie sind. 

<<Die werden’s ja nie weit schaffen, die schwatzen ja nur>>, dachte ich. Ya right, sie schafften es eher als ich ins Talent-Programm und wurden eher befördert.

Mir wurde schnell bewusst, dass das gesellschaftlich geprägte Bild vom fleissigen Mädchen und das, was ich während meiner Schulzeit gelernt habe, nicht der Hauptfaktor ist, der mich auf der Arbeit weiterbringt.

 

Catherine: Mary, war der Schock bei dir ähnlich, als du ins Berufsleben eingestiegen bist?

Mary: Da ich ja eh nicht so das fleissige Mädchen war, fiel mir der Berufseinstieg einfacher. Endlich waren meine Netzwerk-Kompetenzen und Verkaufsfähigkeiten gefragt. Ich hörte aber oft Sprüche wie <<Für eine Frau arbeitest du noch recht gut>>, oder <<und du kannst sogar einstecken>>. Zu Beginn habe ich solche Kommentare auch gar nicht als negativ eingestuft.

Ich nahm gefühlt an jedem After-Work-Apéro teil, lernte wie diese Office-Games funktionierten und schaffte es – zwar mit viel Aufwand – in der männerdominierten Welt einen Platz zu finden.  

Catherine: Stef, wie sieht die Situation bei dir heute aus?

Stef: Mittlerweile habe ich meinen Weg gefunden, ich arbeite an Themen, die mir am Herzen liegen. Ich habe gelernt, wie mich zu positionieren und zu verkaufen. Und ich habe mir ein grosses Netzwerk aufgebaut, ich bin selbstbewusster und stärker geworden. Nach 10 Jahren in der Arbeitswelt, habe ich gelernt, wie mit den verschiedenen Hürden umzugehen.

Nicht etwa von einem Diversity-Programm, denn das gibt’s ja einfach auch immer nur für Frauen in höheren Management-Stufen, sondern ich habe zig Bücher zum Thema Frauen in der Arbeitswelt gelesen, gefühlt 1’000 Podcasts zum Thema gehört und mir jenste Youtube-Videos angeschaut.

Aber ich muss mir natürlich auch heute noch Dinge anhören wie: <<du kommst in deinen E-Mails etwas zu harsch rüber>>, wobei ich mir dann denke: Meine männlichen Kollegen schreiben gerade mal einen Satz oder wenige Wörter in einer E-Mail, aber da sagt niemand etwas. Und das ist nur ein kleines Beispiel. Ich bin doch immer wieder erstaunt, wie weit wir immer noch von einer echten Diversity-Kultur weg sind.

 

Catherine: Mary, wie sieht es bei dir heute aus?

Mary: Auch ich musste lernen, mir so einiges nicht zu Herzen zu nehmen. Natürlich habe ich mich vom bubigen Mädchen weiterentwickelt. Heute lege ich einen grossen Wert auf meine feminine Seite – ich liebe Schuhe, Kleider und lasse meine Nägel machen. Früher wurde ich für meinen zu bubigen Stil schräg angeschaut, heute kann es auch mal vorkommen, dass ich mit meinem weiblichen Stil anecke. So habe ich neulich einen anonymen Brief erhalten – die Person hat mich auf einem Foto bei einem Interview gesehen und kritisierte meine Haarfarbe.

Ich merkte also schnell, dass ich als extrovertierte Person – und vor allem als exponierte Frau –  viel einstecken muss.

Neben einigen anderen Sprüchen im Alltag fiel mir immer wie mehr auf, wie häufig Männer mir das Leben erklärten. <<Als ich so jung war wie du, habe ich auch solche Fehler gemacht. Ich möchte dich nur beschützen>>, Aussagen wie diese und mehr musste ich mir anhören, also Mansplaining vom Feinsten.

Bei mir ist das Glas aber immer halb voll. Ich habe mir dank solchen negativen Erlebnissen mittlerweile eine richtig dicke Haut angeschafft. So schnell lässt mich nichts mehr aus der Ruhe bringen.

 

Catherine: Ihr seid also grundverschieden, anders aufgewachsen und habt andere Hürden durchlebt, wieso habt ihr euch schlussendlich dazu entschieden womenmatter/s zu gründen?

Stef: Einige Jahre nach dem Studium haben Mary und ich uns am Rhein zum Thema Berufseinstieg für Frauen unterhalten. Wir fanden es ja schon noch interessant, dass wir so unterschiedlich sind und dennoch mit den gleichen Hürden am Arbeitsplatz zu kämpfen haben. Wir haben uns also gefragt, ob auch andere Frauen die gleichen Hürden durchmachen, wie wir. So fingen wir an uns Studien und Artikel zum Thema in der Schweiz durchzulesen. Hier erwerben noch mehr Frauen als Männer einen Hochschulabschluss. Ebenso interessant ist die Tatsache, dass wir Frauen immer noch knapp 50% der Einstiegspositionen ausmachen. Wenn wir uns aber dann die Spitze anschauen, da wird’s spärlich – da sind wir gerade noch knapp 20%.

Der Grund liegt darin, dass die meisten Unternehmen weniger Frauen als Männer fördern. Hier gehen mehr als 60 % aller Beförderungen an Männer. Das heisst, wir werden zu einem viel früheren Zeitpunkt in unserer Karriere überproportional zurückgehalten. Und genau da wollen wir ansetzen! Während alle vom Glass Ceiling sprechen, also von der gläsernen Decke, die uns Frauen daran hindert, die letzte Leiterstufe zu erreichen, wollen wir unseren Fokus auf den Broken Rung setzen – der ersten maroden Stufe, die Berufseinsteigerinnen daran hindert, die erste Beförderung überhaupt erstmals zu erreichen. Denn genau dieses frühe Ungleichgewicht, wirkt sich langfristig auf die Talentpipeline aus.

 

Mary: Und die Field Research hat uns schlussendlich auch gezeigt, dass es vielen anderen Frauen gleich geht. So habe ich mich z.B. mit Freundinnen, Arbeitskolleginnen und Familien-Mitgliedern unterhalten und festgestellt, dass Frauen immer positiv auf meine Offenheit mit Hürden am Arbeitsplatz reagierten. Sie waren froh, endlich mal mit jemandem darüber zu sprechen. Es ist speziell für jüngere Frauen ein Thema, bei dem sie sich alleine fühlen.

Gemeinsam suchten wir gezielt nach einem passenden Netzwerk, gingen an Lunch and Learns und andere Veranstaltungen, um unserem Wunsch nach aktivem Austausch nachzugehen.

So fanden wir zwar einige Frauennetzwerke, aber irgendwie schien uns das Ganze etwas verstaubt. Meistens werden solche Netzwerke auch von älteren Frauen geführt, die nicht mehr wirklich das durchmachen, was wir gerade erleben. Das ist nicht sehr ermutigend, da höhere und ‘Elite-Frauen’ oft nicht sehr nahbar und ihr Erfolg unerreichbar erscheint. Und das sagen übrigens nicht nur wir, Studien zeigen, dass höhere und elitärere Frauen in Organisationen nicht die besten Vorbilder für junge Karrierefrauen sind. Diejenigen im mittleren Management sind inspirierender. Zudem haben wir auch einige Frauen kennengelernt, die eine sehr männerhassende Haltung hatten und das war so gar nicht das, wonach wir suchten.

Wir fanden also kein Netzwerk und schon gar kein Programm, das jung, frisch, modern und auf junge Frauen ausgerichtet war. Also gründeten wir kurzerhand womenmatter/s.

 

Catherine: Was ist womenmatter/s heute genau?

Stef: womenmatter/s ist ein Karriereförderprogramm für Berufseinsteigerinnen. Denn zu Beginn eines Berufseinstiegs stellen sich immer wieder die gleichen Fragen und Herausforderungen. Es gibt also kein Grund, wieso wir unser Wissen und unsere Erfahrungen nicht mit anderen Frauen teilen sollten. Sie müssen nicht das Gleiche durchmachen wie wir – und zig andere Frauen vor uns.

 

Catherine: Eure magische Zahl ist die 7, wieso?

Mary: Aus unserer eigenen Erfahrung von mehr als 10 Jahren in der Unternehmenswelt sind wir überzeugt, dass sich Frauen im Berufseinstieg auf sieben Bereiche fokussieren müssen, um die gebrochene Sprosse zu überwinden.

  1. Wir müssen uns überlegen, wer wir überhaupt sind, also was unser Purpose eigentlich ist. Das mag vielleicht etwas philosophisch klingen, aber nur wenn du dich selbst gut genug kennst, kannst du dich auch einschätzen, was zu einem höheren Selbstwertgefühl führt. Du lässt dich also nicht mehr so sehr einschüchtern.

  2. Wenn du deinen Purpose kennst, kannst du dich zielgerecht auf den für dich richtigen Job bewerben. Das erlaubt dir, dich voll und ganz zu entfalten und dein Potential so einzusetzen, dass du es auch wirklich ausschöpfst.

  3. Branding ist nicht nur für eine Firma wichtig, auch für dich. Deine Eigenmarke ist dein grösstes Asset. Nur wenn du der Welt kommunizierst, was du kannst, hast du auch wirklich die Chance, dich zu positionieren.

  4. Du musst lernen, dich in der Büro-Politik durchzusetzen. Ja, manchmal kannst du als schnippig wahrgenommen werden, manchmal wirst du für dein Aussehen kritisiert, manchmal wirst du in Meetings nicht als vollwertig wahrgenommen. Aber nur, wenn du früh lernst, wie du damit umgehen sollst, lernst du das Spiel so zu spielen, dass du gewinnst.

  5. Vitamin B – also B wie Beziehungen ist das A. und O., um in deiner Karriere weiterzukommen. Speziell wir Frauen haben ja oft auch das Gefühl, dass wir alles alleine meistern müssen. Es ist entscheidend, dass du dich mit den richtigen Menschen umgibst und du dir dein ganz persönlicher Board Room zusammenstellst.

  6. Überlasse Kommunikation nicht dem Zufall: Du stehst täglich in Kontakt mit deinen Kolleg:innen, du bist also ständig mit ihnen am Kommunizieren. Kommunikation findet also ununterbrochen statt – geplant und ungeplant.

  7. Und Life is not getting any easier! Auch dann nicht, wenn du im Beruf aufsteigst. Ganz im Gegenteil, du musst lernen, wie du mit Kritik, Verantwortung und Druck klarkommst. Denn je erfolgreicher du wirst, desto exponierter bist du. Das werden nicht alle mögen. Müssen sie auch nicht. Aber du musst lernen, schlagfertig und selbstbewusst dein Ziel weiterzuverfolgen.

Catherine: Danke, Mary und Stef für eure Offenheit. Ich bin fest davon überzeugt, dass wenn wir Frauen uns gegenseitig unterstützen, stärken und feiern, wir Gleichberechtigung schaffen. Ihr wolltet Lösungen, jetzt seid ihr Teil der Lösung.